Michael Fendre
Es war höchste Zeit ...
Warum tut sich das ein Dirigent an? Die wissenschaftliche Arbeit, auf der diese Homepage basiert, ist das eine, das könnte man noch als erweiterte Grundlagenforschung bezeichnen. Aber deren aufwendig aufbereitete virtuelle Publikation?
Ich hatte mir nach vielen Jahren des aufreibenden Organisierens eigener Musikprojekte eine musikalische Forschungsklausur verordnet. Schon seit Jahren reizte mich das Thema "Opern von Joseph Haydn", deren Rezeptionsgeschichte und vor allem deren fehlende Bedeutung im heutigen Repertoire.
Immer wieder streifte ich die Opern Haydns - sie ließen mich nie los - und immer wieder entdeckte ich auf meinen kurzfristigen Forschungsausflügen Verfolgenswertes. Aber eine Publikation jedweder Art war niemals auch nur angedacht.
Als ich nun diese Opernforschungen extrem vertiefte, sammelte sich neben faszinierenden Erkenntnissen vor allem eine Fülle an Fakten, Zahlen und Informationen über Joseph Haydns Opern an, die es wohl niemals zuvor so gebündelt gab. Diese "Sammlung" ließ mich über eine virtuelle Publikation nachdenken, denn sie könnte den Mangel an Informationen beseitigen und vor allem wenn dieses Wissen sehr breit streuen: Virtuell, sprich im Internet als Homepage. Unklar blieb jedoch lange das Ausmaß der virtuellen Veröffentlichung.
Nachdem ich drei Bundesländer und Sponsoren von meiner Arbeit überzeugen konnte, war damit auch die Finanzierung der Homepage gesichert, denn es wäre die erste vollständige Plattform zu Haydns 13 Musikdramatischen Werken ihrer Art. An sich traurig genug, dass es so lange dauerte.
Ich entschied mich aber dafür, die grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorerst für mich zu behalten und sie aufführungspraktisch, in Form konsequent umgesetzter Produktionen, zu präsentieren. Bereits im Vorwort "Das Projekt" ging ich darauf ein.
Nur so viel möchte ich verraten:
Neben ganz bestimmten Rahmenbedingungen und einem wesentlichen musikalischen Code, der die Arbeit mit dem Orchester aber auch mit dem Ensemble "regelte," fand ich auch Antworten auf die Fragen, warum Haydn mit der Armida 1784 bzw. der "Neukonstruktion" von La vera costanza 1785 vorerst das Opernkomponieren aufgeben hatte. Deren Erklärung ist wiederum essentiell für eine authentische Aufführungspraxis. Und auch die Begründungen, warum der Opernbetrieb in Esterház, erst 1776, aber da dann explosionsartig ausbrach, konnte ich eruieren. Was da rund um 1776 passiert ist, hat Haydn nachhaltig beeinflusst ... bis hin zum Oratorium "Die Schöpfung" und noch darüber hinaus!
Haydns Opern harren nach wie vor einer authentischen Umsetzung. Natürlich nicht im Sinne eines historischen Musikheaters, das wäre auch absurd. Jedoch behaupte ich, jene Parameter gefunden zu haben, derer es bedarf, seiner musikalischen Intention sehr nahe kommen zu können, so nahe, wie niemals zuvor.
Die Inszenierung der Opern Haydns übrigens kann man nur den kreativsten und wissbegierigsten Köpfen anvertrauen und ihr sollte keine "historische" Grenze gesetzt werden.
Nach wie vor geschieht es, dass Haydns Opern nicht fundiert genug produziert werden und folglich nicht jene Wirkung entfalten, die man von "einem Haydn" schon erwartet. Als Folge wurde aber immer die Qualität der Werke in Frage gestellt. Ob das nun durch die Interpreten selbst erfolgte (was ja schlimm genug ist; Regisseure neigten in der Vergangenheit oft dazu, "sich" zu entschuldigen und in Haydns fehlendem musikdramatischen Vermögen den Grund für das eigene Scheitern auszumachen) oder erst durch das enttäuschte oder zumindest ratlos zurückgelassene Publikum und, vielleicht schlimmer noch, weil wesentlich "einschlagender", durch das Feuilleton, das den Produktionen nichts abgewinnen konnte.
So bleiben die Opern Experimente für "mutigere" Theater, die ab und an etwas Exotischeres bieten wollen. Aber mehr als ein Experiment wagen die konservativ agierenden Theater in Europa in Haydns Opern einfach nicht sehen.
Kurz möchte ich auf diverse Gründe eingehen, warum Haydns 13 Opern in einen wirklich "tückischen" historischen Strudel gerieten, der diese Werke aus dem kollektiven Bewusstsein verschwinden und somit nie ins Repertoire einziehen ließ. Was also genau verwischte die Geschichte dieser 13 Opern? Auf den Punkt gebracht und sehr vereinfacht dargestellt war es eine Verkettung unglücklicher Umstände:
Was man sich zu allererst vor Augen halten muss ist, dass damals (wie heute) der durchschlagende Erfolg einer Oper und der damit verbundene Ruf ihres Komponisten exponentiell mit der Verbreitung des Werkes stieg.
Doch Haydn durfte seine Opern weder verbreiten noch Fremdaufträge annehmen. Eine Exklusivitätsklausel in seinem Vertrag und das Trachten des Fürsten, Haydns Opern für sich zu behalten, waren zu ausgeprägt - aus nachvollziehbaren Gründen. Niemand würde sich einen der bekanntesten Komponisten der damaligen Zeit leisten wollen und rund um ihn einen der luxuriösesten und kostspieligsten Theaterbetriebe Europas aufbauen, ohne dabei auf Exklusivität seines Stars zu trachten. Auch wenn Haydn 1779 einen neuen Dienstvertrag bekam, lockerte dieser zwar Modalitäten für eine Annahme von auswärtigen Aufträgen. Das war aber auf das instrumentale Fach (Sinfonien, Kammermusik etc.) beschränkt. Selbst wenn Haydn doch da und dort ein anderer Opernauftrag erlaubt gewesen wäre, er hätte gar keine Zeit gehabt, diesen persönlich zu betreuen, was er sicher zur Bedingung gemacht hätte. Denn eine längere, opernproduktionsbedingte Abwesenheit in Esterház hätte im hiesigen Opernbetrieb eine Zwangspause zur Folge gehabt. Undenkbar!
Als eine Verbreitung der Opern nach dem Tode des Fürsten Nikolaus möglich war, scheiterten sicher viele Verbreitungsversuche an Haydns Anspruch und auch an einem gewissen Kontrollwahn:
Wie wichtig ihm eine "werkgetreue" Umsetzung war, zeigt nicht zuletzt der berühmte "Applausus-Brief" aus dem Jahre 1768, der einen wunderbaren Einblick in Haydns Arbeitsweise und "Aufführungspraxis" erlaubt. Aber auch die nicht mehr verifizierbare Geschichte rund um das Auftragswerk La vera costanza für Wien gibt ein interessantes Bild ab. Das Kompositionsjahr 1776 halte ich zwar in diesem Zusammenhang nicht für realistisch. Jedoch kann ich der Geschichte, dass Wien diese Produktion/Komposition hätte bekommen können, sehr wohl etwas abgewinnen. So etwas erfindet man nicht.
Letztendlich erfuhren diese Werke in ihrer so wichtigen Frühphase keine Verbreitung. Da damalige Werke eine sehr kurze Halbwertszeit hatten - das Publikum verlangte permanent nach Neuem - gerieten die Opern recht schnell ins Abseits. Das hatte nichts mit irgendwelchen Qualitätsansprüchen zu tun, sondern es waren schlicht äußere "widrige" Umstände, vor allem eine fehlende Verbreitung. Diese besondere Aufmerksamkeit kam den Werken eben ausschließlich in Esterház zu. Auch wenn über Haydns Opern in internationalen Kritiken geschrieben wurde - wer sie anhören wollte, konnte das nur in Esterház tun!
Sein erster freier Opernauftrag fiel jedoch einer Intrige zum Opfer (das Theater in London erhielt kurzfristig keine Genehmigung), für die Joseph Haydn absolut nichts konnte. Damit war es ihm auch in London nicht möglich, sein Opernkönnen unter Beweis zu stellen, denn das Programm für die erste London-Reise (1791-1792) war bereits so gut wie "ausgemacht", inklusive der geplanten Oper Orfeo ed Euridice, Haydns insgesamt letzter Oper. Haydn hörte dieses Werk niemals auf der Bühne. Und der Welt wurde dieses grandiose Werk erst 1951 vorgestellt!
Für seine früheren Opern war, meiner Meinung nach, der Zug bereits abgefahren. Von einigen Kennern und Liebhabern wurden sie noch aufgeführt, aber der Allgemeinheit waren sie nicht bekannt.
Als gesichert gilt, dass seine 13 Opern für damalige Verhältnisse wirklich schwer zu "spielen" waren. Wir dürfen nicht vergessen: Haydn hatte in Esterház eines der besten Ensembles und Orchester europaweit! Er hatte einen Opernbetrieb zu leiten, der schon um 1800 seinesgleichen gesucht hat, ganz zu schweigen von heute. Ich möchte hier das Rekordjahr 1786 als ein Extrem anführen: 8 Premieren, 9 Wiederaufnahmen bei insgesamt 125 Aufführungen - innerhalb eines Jahres! Von 1780 bis 1790 leitete Haydn 64 Opern in unglaublichen 1026 Opernaufführungen. Darin ist jene Zahl der Opern, die von 1763 bis 1779 aufgeführt wurden, noch gar nicht enthalten. Man stelle sich nun eine Armida nach 54 Aufführungen vor, mit diesem Orchester und - was noch wichtiger ist - mit ein und demselben Sängerensemble. Das konnte nach dem plötzlichen Aus im Schlosstheater zu Esterház kein Theater mehr anbieten. Unser schnelllebiger Theaterbetrieb mit seinen ständig wechselnden Sängerbesetzungen und den permanenten Frequentierungen im Orchester stellen eine denkbar ungünstige Basis für eine Haydn Oper dar.
Es nimmt also nicht weiter wunder, dass erst im 20. Jahrhundert eine Handvoll Spezialisten mit ihren Ensembles diese Opern in die Nähe ihrer ursprünglichen Wirkung zu bringen versuchten. Doch bei weitem noch nicht zufriedenstellend.
Es wird also wieder Zeit ...
Michael Fendre